Endlich ausschlafen! Gleitzeit für Schüler*innen
Am Gymnasium Plochingen in der Nähe von Stuttgart können Schülerinnen und Schüler einer 7. Klasse an zwei Tagen in der Woche entscheiden, wann sie in die Schule kommen. Die Wahl zwischen den Anfangszeiten 7:50 Uhr oder 9:40 Uhr besteht zunächst testweise bis zu den Pfingstferien. Im Interview erklärt Till Richter, der Deutschlehrer der Klasse, wie die Idee dazu entstanden ist und wie sie praktisch umgesetzt wird.
Guten Tag, Herr Richter! Sie sind Lehrer am Gymnasium Plochingen. Momentan wird ein Projekt an Ihrer Schule getestet. Könnten Sie es bitte kurz präsentieren?
Guten Tag, Arina! Ich bin der Deutschlehrer der Klasse 7a und betreue das Projekt. Es ist uns wichtig, dass das gesamte Projekt keine Initiative der Schulleitung oder der LehrerInnen ist, sondern von den Schülerinnen und Schülern selbst stammt. Als wir zu Schuljahresbeginn in Deutsch die Einheit « Informieren und Argumentieren » begonnen haben, habe ich die Klasse gebeten, aufzuschreiben, was ihnen an der Schule gefällt und was sie stört. Dabei wurden auffällig oft die Themen « Unterrichtszeiten » und « früher Unterrichtsbeginn » genannt. Wir haben uns dann informiert, was andere Schule machen, welche Modelle es im Berufsleben gibt und was die Schlafforschung zu dem Thema sagt. Daraus hat die Klasse die folgende Idee entwickelt, die ich am Fach Deutsch erkläre:
Wir haben dienstags und mittwochs in der 1./2. Stunde Deutsch. Mittwochs haben wir ganz normal als gesamte Klasse Unterricht, alle SchülerInnen sind anwesend. Dort bekommen die SchülerInnen umfangreichere Hausaufgaben, die sie bis zum kommenden Mittwoch erledigen müssen. Und dann können die SchülerInnen eben selbst entscheiden, ob sie diese Aufgaben zu irgendeinem Zeitpunkt der Woche oder am Dienstagmorgen mit meiner Hilfe in der 1./2. Stunde erledigen. Wer gut mit den Aufgaben klar kam, kann dann ausschlafen oder sich einem anderen Fach widmen. Wer Hilfe benötigt oder einfach ohnehin Aufgaben lieber in der Schule erledigt, kann in die Schule kommen. Das gleiche Modell gibt es auch im Fach Englisch, sodass die SchülerInnen der 7a in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten jeweils dienstags und freitags selbst entscheiden können, wann sie in die Schule kommen.
Warum hat Ihre Schule beschlossen, dieses Projekt durchzuführen? Wer kam auf diese Idee?
Ich fasse die beiden Fragen zusammen, weil sie so ähnlich sind und ich sie zum Teil schon oben beantwortet habe. Da tatsächlich die Schülerinnen und Schüler die Idee zum Projekt hatten und daraus der Wunsch entstand, die eigene Idee auch wirklich einmal testen zu dürfen, wollten wir vor allem diesem Wunsch nicht im Weg stehen. Wir wollten es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, sich für ihre engagierte Arbeit zu belohnen, indem sie eine neue Form des Unterrichtens testen dürfen, von der sie selbst überzeugt sind. Denn warum sollten nur die Erwachsenen darüber bestimmen, wann Kinder aufstehen und lernen? Ich nehme auch bei den unteren Klassenstufen wahr, dass die Schülerinnen und Schüler oft selbst besser wissen, wann und wie es für sie gut ist zu lernen. Wir haben aber auch einen « Notfallknopf » eingebaut: Wenn die Eltern oder die LehrerInnen wahrnehmen, dass das Projekt für ein Kind eine Überforderung darstellt und die Leistung stark nachlassen, können einzelne Schülerinnen und Schüler auch verpflichtet werden, wieder verbindlich zur Lernzeit zu kommen.
War es für Sie leicht, alle für das Projekt zu begeistern?
Die Schülerinnen und Schüler mussten ja für das Projekt begeistern, nicht ich. Wir haben dann im Deutschunterricht eine gemeinsame Email an den Schulleiter verfasst und ihn über das Konzept informiert. Die Klasse hat ihn in den Unterricht eingeladen, ihm ihre Idee präsentiert und Fragen beantwortet. Die Schulleitung hat sich dann offen für eine Testphase in dieser Klasse gezeigt.
Darüber hat die Klasse dann beim Elternabend informiert und so auch die Zustimmung der Eltern eingeholt.
Wann hat das Projekt angefangen und bis wann wird es durchgeführt?
Die Testphase in der 7a findet in den Fächern Deutsch und Englisch zwischen den Oster- und Pfingstferien statt. Es gibt eine weitere Gruppe aus der Klasse, die das Projekt mit Umfragen begleitet. Aufgrund dieser Evaluation wollen wir herausfinden, ob das Projekt die Zielsetzung erfüllt. Denn es soll ja zu höherer Konzentration, mehr Motivation, größerer Selbstbestimmung und eigenständigerer Organisation führen.
Wie ist das Feedback bis jetzt? Meinen Sie, dass sich Ihre Schule ab nächstem Schuljahr die Gleitzeit definitiv einführen wird?
Nach einer Woche ist das Feedback innerhalb der Klasse ziemlich gut, die Schülerinnen und Schüler sind stolz, etwas bewegt zu haben. Dass das Projekt in nahezu allen Zeitungen thematisiert wird und morgen sogar das Fernsehen kommt, sorgt natürlich auch für eine besondere Stimmung. Inhaltlich lässt sich aber noch nicht viel sagen, dazu ist es nach der einen Woche viel zu kurz.
Und nach dem Projekt ist es an der Klasse zu entscheiden, ob sie ihre Idee wirklich gut findet und das Projekt vorantreiben möchte oder nicht. Wenn die Klasse das möchte, unterstützen wir sie gerne dabei. Dann könnte es vielleicht eine größer angelegte Testphase auch in anderen Klassen gegeben, vielleicht mit wissenschaftlicher Begleitung einer Hochschule. Davor wären dann auch noch einige Hürden zu nehmen, z. B. eine ganz andere Stundenplangestaltung, die Prüfung rechtlicher Rahmenbedingungen oder auch die Kommunikation mit den Busunternehmen, die dann ihre Fahrpläne anpassen müssten.
Vielen Dank für das Interview, Herr Richter!