Iranische Realität: Peitschenhiebe, Gefängnis, Tod
Seit die junge Jina Mahsa Amini im September 2022 von der Sittenpolizei in Teheran wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die strenge islamische Kleiderordnung festgenommen wurde und in Polizeigewahrsam zu Tode kam, kämpfen die Menschen und insbesondere die Frauen im Iran immer offener für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte.
Doch nach wie vor werden offene Proteste unterdrückt. Hunderte Menschen werden festgenommen, verfolgt und hingerichtet. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Ausdrucksfreiheit, all diese Rechte gibt es dort nicht.
Frauen werden unterdrückt und sofort bestraft, wenn der Hijab auch nur ein kleines bisschen falsch sitzt. Sie dürfen noch nicht mal ihr eigenes Haus verlassen, wenn ihr Ehemann es nicht erlaubt. Seit Jahren ist die Lage im Iran kritisch, und sie hat sich keineswegs verbessert.
Das iranische Parlament besteht so gut wie nur aus Männern. Der (religiöse) Oberste Führer ist Ajatollah Ali Chamenei: Er ist lebenslang ernannt, hat bei allem das letzte Wort und ist Oberbefehlshaber der Armee – jeder ist ihm unterstellt, auch der staatliche Rundfunk. Der Volkswille spielt nur eine stark eingeschränkte Rolle. Was die Menschen zu denken haben, wird von der Regierung vorgeschrieben. Wir, in einer Demokratie lebend, können uns diese Umstände gar nicht erst vorstellen. Angst haben zu müssen, gefoltert und bestraft zu werden, sobald man etwas „Falsches“ denkt oder tut, nicht wissen, was in der Welt eigentlich passiert, weil jegliche Form von Presse stark zensiert wird, das ist Alltag im Iran.
Wir haben mit Nasrin von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) gesprochen. Sie ist im Iran aufgewachsen, ihre Eltern und Freunde leben immer noch dort. Sie lebt nun in Deutschland. Um sie oder ihre Familie vor etwaigen Repressalien zu schützen, haben wir ihren Namen geändert. Sie erklärt: „Wenn jemand versucht, Menschenrechtsverletzungen zu veröffentlichen oder darauf hinzuweisen, wird er verhaftet und angeklagt – als ob er etwas gegen die Sicherheit des Landes unternehmen würde, was aber nicht der Fall ist. Die Regierung ist so verunsichert, dass sie die Menschen für alle möglichen Dinge anklagt.“
Über die Jahre haben einige iranische Bürger Protestbewegungen ins Leben gerufen und versucht, mehr Rechte zu erhalten. Insbesondere Frauen, die versucht haben, sich zu wehren, würden „direkt als hysterisch bezeichnet“, erklärt Nasrin.
Sie dürfen kaum Sport treiben, keine Fußballspiele besuchen und fast keine Studiengänge belegen, da diese nicht „feminin“ genug sind. Selbst einer Operation dürfen sie sich nur dann unterziehen, wenn sie die Zustimmung eines Mannes erhalten.
Die iranisch-französische Comiczeichnerin Marjane Satrapi hat im Jahr 2023 ein Buch herausgegeben: In Frau, Leben, Freiheit geht es um Dinge, die normalerweise wegen der Zensur gar nicht aus dem Land herausdringen. Bereits vor einigen Jahren gewann die Autorin mehrere Preise für ihr Buch Persepolis, in dem sie ihre Kindheit im Iran beschreibt. Dort erlebt sie zum Beispiel die islamistische Indoktrination, Verhaftungen und Demütigungen ihrer Familie und muss miterleben, wie ihr Onkel in der Hinrichtungszelle sitzt.
„Wenn die „Polizei“ dich anhält, nimmt sie dich mit in den Transporter, und das bedeutet im besten Fall Beleidigungen und dass deine Angehörigen dich auf der Wache abholen müssen… Im schlimmsten Fall Peitschenhiebe, Gefängnis… oder sogar den Tod…“
Dieses Zitat aus ihrem Buch ist eines von vielen Beispielen, die die momentane Situation im Iran beschreiben. Die Autorin erklärt außerdem anhand von Comiczeichnungen und Illustrationen die Geschichte Irans und woher bestimmte Regeln, Bräuche und Ideologien kommen. Eine der von ihr hauptsächlich beschriebenen Bewegungen ist die „Frau, Leben, Freiheit-Bewegung“, die auch der Titel ihres Buches ist. Die iranischen Frauen trauen sich immer mehr auf die Straße und spielen immer mehr mit Provokation, wofür sie nicht selten einen hohen Preis zahlen müssen.
Nasrin meint, was das Kämpfen für ihre Rechte angeht, sei die Situation der iranischen Bürger schon viel besser geworden, da ihnen durch staatliche Gewalt bei Protesten und auch durch die sozialen Medien immer bewusster werde, wie beschränkt sie eigentlich sind: „Die Nation wird sich der Situation immer mehr bewusst, die Menschen werden immer wütender auf diese Regierung, die ihre Rechte verletzt.“
Gerade die sozialen Netzwerke spielen eine große Rolle in diesem Konflikt. Durch soziale Plattformen werden mehr Menschen auf Proteste und Ereignisse aufmerksam, die sich im Iran abspielen. Doch die Menschen dort können nicht alles einfach posten: „Wir können nicht sehen, was in der Welt passiert, weil die Gesetze es verbieten. Das Internet wird von der Regierung stark kontrolliert, wir haben keinen freien Zugang zu Facebook, Twitter, etc. Instagram wird gefiltert, was dazu führt, dass die Bevölkerung sich VPN (ein virtuelles privates Netzwerk, mit dem man sich anonym im Netz bewegen kann) kaufen muss, was sehr teuer ist.“
Des Weiteren erläutert Nasrin, dass sogar Musik fast unmöglich zu bekommen sei: der Zugang zu Spotify, Apple Music, usw. ist verboten. Selbst bei Zahlungen sind die Optionen stark beschränkt. Weil der Iran das internationale Bankensystem nicht nutzt, sind Visa, MasterCard und auch PayPal gar nicht erlaubt. Durch diese strengen Regelungen und zahlreichen Verbote geht der Kontakt zur Außenwelt verloren:
„Der Iran ist ein sehr isoliertes Land geworden.“
Diese Aussage von Nasrin bezieht sich nicht nur auf Pressezensur, sondern auch auf den kulturellen und menschlichen Aspekt. Laut ihr ist die Verbindung zum Rest der Welt eigentlich komplett abgebrochen. Einfach ausreisen sei fast unmöglich, mit anderen Ländern zu kommunizieren ebenfalls, was dazu führe, dass die iranischen Bürger mehr oder weniger eingeschlossen seien. Im Iran dürfe man nur eine Kultur haben, von mehreren könne keine Rede sein: „Sie lassen uns nicht unsere Kultur teilen, und sie lassen andere Kulturen nicht in den Iran kommen.“
Den Menschen im Iran wird vorgeschrieben, was sie denken und tun sollen. Ihre Freiheit ist stark eingeschränkt, wobei vor allem die Frauen unter strengen Vorschriften leiden. Dass Frauen im Iran stark benachteiligt sind, ist offensichtlich. Woher kommt das eigentlich? Alle iranischen Gesetze basieren auf religiösen Aussagen und Regeln. Da der Staat dort überhaupt nicht getrennt von der Religion ist, wird alles so vorgeschrieben, wie die Religion es sagt. Nasrin erklärt: „Alle Vorschriften basieren auf der Scharia, die auf der Grundlage der Worte von Heiligen, Mullahs und dem Koran verfasst wurde. Sie alle besagen, dass Frauen schlechter behandelt werden sollen als Männer, deshalb haben Männer viel mehr Rechte als Frauen.“
Sie werden durch die Kleiderordnung unterdrückt, doch das ist noch lange nicht alles: Beispielsweise sind Frauen in der Ehe dem Mann unterstellt. Der Mann darf alleine den Wohnort der Familie bestimmen und seiner Frau verbieten, bestimmte Jobs anzunehmen. Ein Beispiel, das die Ungleichheit einmal mehr bekräftigt, ist das des Erbe: Wenn ihr Mann stirbt, erbt eine Frau ein Achtel seines Besitzes. Wenn sie stirbt, erbt ihr Mann aber ihren ganzen Besitz. Wenn eine Frau eine zweite Ehe eingeht, verliert sie das Sorgerecht für ihre Kinder aus der ersten Ehe, selbst wenn der Mann verstorben ist. Wenn eine Frau eine Scheidung möchte, kann sie diese nur dann vor Gericht erhalten, wenn ihr Mann im Gefängnis war, psychisch krank ist oder Suchtprobleme hat. Ihr Mann dahingegen kann mündlich eine Scheidung einreichen, ohne dass die Frau überhaupt anwesend ist. Das sind nur ein paar Beispiele.
Das iranische Parlament besteht zu 97% aus Männern, was zeigt, dass Frauen dort kein Mitspracherecht haben. In Deutschland sind immerhin 32% der Abgeordneten weiblich, was auch nicht ideal, aber schon erheblich mehr als 3% ist . Bei der Frage, ob das sich jemals ändern wird, antwortet Nasrin: „Solange diese Mullahs mit diesen altmodischen Gesetzen, mit dieser wirklich starren Denkweise den Iran regieren, können wir keine Freiheit erlangen, können wir nicht erwarten, dass die Frauen mehr an der Gesellschaft teilhaben.“
Die islamische Republik Iran besteht erst seit 1979. Republik ist vielleicht nicht ganz zutreffend, da es sich viel mehr um ein theokratisches Regime handelt. Es ist also noch nicht lange her, dass der Iran unter einer anderen Staatsform geführt wurde, nämlich einer konstitutionellen Monarchie. Vor 1979 waren Frauen zwar auch eingeschränkt, hatten aber einige Fortschritte gemacht, etwa im Bereich der Bildung. Diese Fortschritte sind nun alle wieder weg, und Nasrin sieht nur eine Möglichkeit, sich aus dieser Situation zu lösen: den Sturz der Republik: „Ein Wandel für Frauen, ein Wandel für Minderheiten oder ein Wandel für das iranische Volk im Allgemeinen wird nicht stattfinden, solange die Islamische Republik nicht gestürzt ist.“
Immer mehr Frauen beteiligen sich an Protestaktionen, trauen sich auf die Straße. Allerdings besteht jederzeit das Risiko, festgenommen zu werden. Protestierende werden sehr oft inhaftiert und bekommen im Gefängnis Elend zu spüren. Die Gründe für eine Festnahme? Banale Dinge wie das falsche Tragen des Kopftuchs oder angebliche Gewalt, selbst bei friedlichen Protestierenden. Im Moment ist ein Prozess am Laufen, bei dem einem Mann vorgeworfen wird, ein Mitglied der IRGC (Islamic Revolutionary Guard Cops) getötet zu haben, eine von den USA als terroristisch eingestufte Truppe, die Teil des iranischen Staats ist und diesen stützt. Diese Anschuldigung kann nicht einmal bewiesen werden; das Hauptziel des Staates ist es nur, den Menschen Angst einzujagen und zu zeigen, dass sie jeden töten können.
„Die Beschuldigungen, die sie den Menschen an den Kopf werfen, entsprechen nicht der Wahrheit. Sie dienen nur dazu, die Bevölkerung zum Schweigen zu bringen, um Druck auszuüben. Viele der Urteile haben keine solide Grundlage. Einige der Angeklagten haben nicht einmal Zugang zu einem Anwalt, was dazu führt, dass die Gerichte sehr voreilig sind und nur dazu dienen, den Menschen Angst zu machen.“
Wenn also gegen die strengen Vorschriften verstoßen wird, werden die Menschen im Iran sofort verhaftet, wenn nicht sogar hingerichtet, auch wenn die Regierung es nicht zugibt. Im iranischen Gefängnis werden die Menschenrechte überhaupt nicht geachtet, kaum ein Insasse bleibt von Folter oder Vergewaltigung verschont. Bei der Frage, ob denn alle Menschen dort so schlecht behandelt werden, sagt Nasrin: „Es gibt viele Beispiele von Menschen, die gesund ins Gefängnis gingen und krank wieder herauskamen.“
Einige Menschen, die dort im Gefängnis waren, berichteten über schlimme Zustände, vor allem über viel Gewalt: „Viele Frauen berichteten nach ihrer Entlassung von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen sowohl auf sich selbst als auch auf Menschen, die mit ihnen im Gefängnis waren. Sie wurden gedemütigt, ausgelacht. Diese Menschen probieren, dir alles an Menschlichkeit wegzunehmen.“
Nicht nur Frauen würden misshandelt, sondern auch Männer erzählten von einem schlimmen Alltag: „Viele Männer berichteten, dass sie in sehr engen Räumen geschlafen haben, dass das Essen und die Luft nicht gesund sind und dass sie ständig verprügelt werden. Sie werden gefoltert, manchmal befinden sie sich im Hungerstreik oder sogar im Medikamentenstreik und niemand kümmert sich um sie. Sie vermeiden es, ihre Medikamente zu nehmen, um zu zeigen, dass sie sich gegen dieses unmenschliche Verhalten wehren.“
Nasrin ist davon überzeugt, dass der Aufenthalt im iranischen Gefängnis die Menschen für immer prägt und verändert: „Wenn eine Person in dieses Gefängnis geht und wieder herauskommt, ist sie nicht mehr dieselbe Person.“
Obwohl immer mehr Menschen darauf aufmerksam machen, kann nicht wirklich Abhilfe geschaffen werden, was sehr frustrierend ist für die iranischen Bürger, insbesondere für die Opfer staatlicher Gewalt. „Die einzige Möglichkeit, Demokratie und Freiheit im Iran zu erreichen und Frauen an der Gesellschaft teilhaben zu lassen, ist der Sturz der islamischen Republik.“, so Nasrin.
Im Dezember 2023 erhielten Jina Mahsa Amini und die iranische Frauenprotestbewegung vom Europäischen Parlament den Sacharow-Preis für geistige Freiheit. Auch wenn die verstorbene Iranerin dies nicht erleben und ihre Familie zur Preisverleihung nicht ausreisen durfte – mit dieser Ehrung wurden der Mut und die Widerstandskraft der Protestierenden im Iran geehrt.
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