Homosexuell in Russland: “Hier wird nicht viel über Schwule gesprochen und wenn, dann nur schlecht.”
In Deutschland findet jeden Juni der Pride Month statt. Wenn das Corona-Virus nicht wäre, gäbe es jetzt in den Städten große Paraden, um die Rechte der LGBT-Community zu feiern. Aber das ist in vielen Ländern nicht erlaubt. In 70 Ländern der Welt ist Homosexualität immer noch illegal und in manchen steht darauf sogar die Todesstrafe.
In Russland ist Homosexualität zwar nicht verboten, aber Lesben und Schwule werden dort dennoch nicht akzeptiert. Die LGBT-Akzeptanz dort liegt dort laut einer aktuellen Umfrage nur bei 14%. In Deutschland und Frankreich dagegen denken 86% der Gesellschaft, dass Homosexualität akzeptiert werden sollte. Um einen tieferen Einblick in die Situation zu geben, hat Camäléon-Redakteurin Katharina Büch Aleks*, einen homosexuellen Russen, interviewt.
Camäléon: Wann hast du gemerkt, dass du homosexuell bist?
Aleks: Mit 16 Jahren habe ich das erste Mal gemerkt, dass ich auf Jungs stand, aber es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich mich wirklich akzeptiert habe.
Camäléon: War es schwer für dich, deine Sexualität zu akzeptieren?
Aleks: Es war schon schwer. Hier wird nicht viel über Schwule gesprochen und wenn, dann nur schlecht. Ich habe ziemlich lange Frauen gedatet, bis ich mich damit abgefunden habe.
Camäléon: Vor wem hast du dich geoutet?
Aleks: Vor 3 Jahren habe ich mich vor meiner Mutter und einer Handvoll Leute geoutet. Der Rest meiner Familie ist sehr konservativ und ich möchte nicht, dass es sich herumspricht.
Der Rest meiner Familie ist sehr konservativ und ich möchte nicht, dass es sich herumspricht.
Camäléon: Wie haben deine Familie und deine Freunde auf dein Outing reagiert?
Aleks: Am Anfang war meine Mutter nicht sehr froh darüber und wir haben uns oft gestritten. Jetzt geht es aber besser. Für meine Freunde ware es okay, weil ich schon vor meinem Coming-out aufgepasst habe, dass sie nichts gegen Schwule haben.
Camäléon: Hast du Gewalt oder Beleidigungen wegen deiner Sexualität erfahren?
Aleks: Ich bin eher privat über meine Sexualität und lasse mich nicht auf der Straße mit anderen Schwulen sehen, also nein. Man hört immer wieder, wie gleichgeschlechtliche Paare geschubst und beleidigt werden. Deshalb lasse ich das lieber.
Camäléon: Hast du Kontakt zu anderen Mitgliedern der LGBT-Community?
Aleks: Durch Internetforen habe ich Homo-und Bisexuelle gefunden, die auch in Russland leben. Manche von ihnen sind auch geoutet, was mich sehr inspiriert. Es ist wichtig für mich, dass ich meine Erfahrungen mit anderen Osteuropäern austauschen kann, denn unsere Probleme unterscheiden sich sehr von denen der LGBT-Community in Westeuropa oder Amerika.
Camäléon: Denkst du, dass die Einstellung der russischen Bevölkerung gegenüber Homosexuellen sich in den nächsten Jahren ändern wird?
Die meisten Russen denken entweder, dass wir eine Bedrohung für unser Land und mental krank sind oder sie beachten uns gar nicht.
Aleks: Die meisten Russen denken entweder, dass wir eine Bedrohung für unser Land und mental krank sind oder sie beachten uns gar nicht. Die Regierung versucht uns zu zensieren und verbreitet Lügen über uns und wir können uns nicht verteidigen, weil wir dafür unsere Arbeit verlieren könnten oder attackiert werden. Es kommt oft vor, dass LGBT-Aktivisten angegriffen werden und die Polizei unternimmt nichts dagegen. Aber ich hoffe, dass durch das Internet mehr Menschen auf uns aufmerksam werden.
Camäléon: Was müsste passieren, damit sich die Situation der LGBT-Community in Russland verbessert?
Aleks: Ich denke, es ist am wichtigsten, dass die Regierung das Anti-Propaganda-Gesetz aufhebt. Das Gesetz verbietet es, sich positiv über Homosexualität zu äußern, vor allem wenn Kinder in der Nähe sind, weil es angeblich Russlands Traditionen gefährdet. Man darf zum Beispiel nicht in der Schule darüber diskutieren oder in den Nachrichten darüber berichten. Außerdem haben die Kirche und in anderen Provinzen der Islam sehr viel gesellschaftlichen Einfluss und den benutzen sie, um Lügen über uns zu verbreiten und uns öffentlich anzugreifen. Ich denke nicht, dass die Regierung ihre Denkweise über Lesben und Schwule bald ändern wird, aber es macht mir Hoffnung, dass viele Jugendliche durch das Internet aufgeklärt werden und anderen Sexualitäten neutraler gegenüberstehen.
Camäléon: Wie können Menschen im Westen der russischen LGBT-Community helfen?
Aleks: Es ist schon eine große Hilfe, wenn im Internet Artikel über uns geschrieben oder Petitionen geteilt werden. Wir bekommen zwar nicht so viel Aufmerksamkeit wie Homosexuelle im Westen, aber es gibt trotzdem viele Wege uns zu helfen. Es gibt Organisationen an die man spenden kann. Letztendlich ist es aber am wichtigsten, dass die Regierungen in Europa und Amerika mehr Druck auf unsere Politiker ausüben.
Camäléon: Könntest du dir vorstellen aus Russland wegzuziehen, um deine Sexualität frei auszuleben?
Ich bin oft wütend und enttäuscht von dem, was andere Russen oder die Regierung tun, aber das ändert nicht, dass ich hier geboren bin.
Aleks: Ich habe über diese Frage schon ein paar Mal nachgedacht und es ist recht kompliziert für mich. Wenn man von der Norm abweicht, ist Russland oft nicht der beste Ort zum Leben. Ich bin oft wütend und enttäuscht von dem, was andere Russen oder die Regierung tun, aber das ändert nicht, dass ich hier geboren bin. Ich bin trotz all dem immer noch mit meiner Heimat verbunden und würde sie nur verlassen, wenn es nicht anders geht. Im Moment wird Homosexualität im Westen akzeptiert, aber wie kann ich mir sicher sein, dass es in 20 oder 30 Jahren genauso sein wird? Wenn ich wegziehen müsste, würde ich vielleicht größere russische Städte wie Moskau in Betracht ziehen, denn dort ist die Akzeptanz wesentlich höher als im Rest des Landes.
Camäléon: Welchen Ratschlag würdest du einem LGBT-Teenager geben?
Aleks: In den letzten Jahren wurde in vielen Ländern viel Fortschritt mit LGBT-Rechten gemacht, was großartig ist. Das hat dazu geführt, dass es für viele Leute einfacher geworden ist, sich zu outen und offener mit ihrer Sexualität umzugehen. Allerdings habe ich das Gefühl, dass dies LGBT-Personen und vor allem Junge unter Druck setzt, sich zu outen. Man muss niemandem beweisen, dass man homosexuell ist. Deine Sexualität geht niemanden an, außer dich selbst. Man sollte besser warten, bevor man sich unnötig in Gefahr begibt.
* Name von Redaktion geändert
(übersetzt aus dem Russischen)
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